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Job or Mission? Women in the High Andes in Argentina (Text in German)
Die Quebrada de Humahuaca ist ein aus der Zeit gefallener, lichtvoller Ort auf unserer Mutter Erde. Die atemberaubend schöne Schlucht (Quebrada), liegt in den nordwestlichen Anden Argentiniens, in der nördlichsten Provinz Jujuy, und ist als Weltkultur-/Weltnaturerbe bei der UNESCO gelistet. Sie steigt über 150 Kilometer gemächlich an von 2.100 m Höhe ü.d.M. bis zu ihrem Ende auf 2.600 m in dem touristischen Andenstädtchen Humahuaca. Von dort aus sind es nur noch ca. 150 Kilometer bis zur bolivianischen Grenze.
Vor majestätischer Farbkulisse der Hochanden existieren in der Quebrada zahlreiche Bergdörfer und Siedlungen, in denen noch ein großer Teil indigener Bevölkerung lebt. Die Dörfer selbst sind nach unserem europäischen Geschmack nicht wirklich pittoresk. Sie sind einfach, die Strassen meist staubig; dennoch lässt sich eine große, eine pure Schönheit durch genaues Hinschauen, durch längeres Verweilen in ihnen, erkennen. Das Dorfleben selbst ist ziemlich entschleunigt, geprägt von Riten, Traditionen und Folklore sowie von einer mystischen Kultur mit Heilern und Heilpflanzen, mit der Verehrung von pacha mama (Mutter Erde) und zahlreichen katholischen Festen.
Ich habe in der für mich magischen Quebrada diverse Frauen in ihren Berufen, bei ihrer täglichen Arbeit, begleitet. Starke Frauen, die hart und diszipliniert arbeiten, um ihre Kinder teils allein zu ernähren; Frauen, auf die man sich verlassen kann, die in jener abgelegenen Bergregion gern respektvoll Mamitas genannt werden und die sich unter manchmal nicht einfachen Umständen ein Leben in der Quebrada aufgebaut haben oder solche, die große Städte hinter sich gelassen haben, um hier, an einem Rand der Welt, zu leben und zu arbeiten – also Frauen, die oftmals unabhängig und mutig ihrem eigenen Lebensweg folgen.
Sie alle verbindet eine große Liebe zu der Natur in der Quebrada de Humahuaca. Damit sind sie zu einem wichtigen Teil der Kultur dieser faszinierenden Region geworden. Ihre Hingabe an den dortigen Lebensstil spiegelt sich auch wider in ihrem herzlichen und offenen Lachen, in ihrer Lebensfreude, ihrer stets positiven und weisen Einstellung dem Leben gegenüber.
Doña Josefina, Mamita andina (Andenmütterchen) und Pflanzenheilerin
Die 82jährige Josefina ist in Bolivien geboren, wurde dann aber als kleines Mädchen von den Eltern abgegeben an einen Onkel, der in der nördlichen Andenregion Argentiniens wohnte und der keine eigenen Kinder hatte. Damit waren ihre Eltern froh, zu Hause ein Mäulchen weniger mit Essen stopfen zu müssen. Josefina hat es nie bereut, beim Onkel gewohnt haben zu müssen, da dieser ihr alles über Pflanzen beibrachte, was, wie sich noch herausstellen sollte, immens wichtig werden würde in ihrem späteren Leben.
Aber ich will der Reihe nach erzählen. Schon mit sechs Jahren passte sie auf kleinere Kinder auf und verdiente sich so ihr Essen. Mit elf Jahren arbeitete sie bereits in der Provinz Jujuy für die Minengesellschaft, in dem sie für die Männer dort das Essen kochte. Die Minenarbeit war natürlich eine reine Männerdomäne, sie und andere Mädchen sowie Frauen wurden auch eingestellt, um die Steine draußen vor den Mineneingängen zu sortieren. Dort hat sie auch ihren späteren Mann kennengelernt, von dem sie fünf Kinder hat. Mittlerweile sind 16 Enkelkinder und vier Großenkel dazu gekommen. Ihr Mann ist leider schon seit 33 Jahren verstorben. Er war ein Coplero (Bänkelsänger und Tamborspieler). Von ihm hat sie das Tamborspielen gelernt.
Doña Josefina ist seit vielen Jahren in der Region eine der besten Copleras, bekannt für ihre scharfzüngigen Texte und ihre feste Stimme. Sogar für den holländischen König und seine argentinische Frau Maxima durfte sie in ihrem Heimatdorf Maimara bereits ihre singende Kunst zum Besten bringen.
Davon abgesehen ist sie in der Provinz DAS Andenmütterchen schlechthin und wird zu jeder Gelegenheit bis nach Buenos Aires für Kulturevents eingeladen, ja sogar bis in den argentinischen Präsidentenpalast, „la casa Rosada“. Überall wird sie als lebendiger Beweis und Bewahrerin der Andenkultur und -Folklore gefeiert. Sie macht das exzellent in ihrer wunderschönen, farbenprächtigen Tracht, mit ihrem großen Elan und ihrer immer positiven Ausstrahlung. Josefina tanzt, singt und sie spielt auf dem Tamborin, ist bei jeder Dorf-fiesta (Fest) aktiv mit von der Partie und man merkt ihr das hohe Alter wahrlich nicht an. Außerdem strickt und webt sie wie eine Weltmeisterin und verkauft von zu Hause an ihre Stammkundschaft.
Bis zu ihrem 35jährigen Lebensjahr war Josefina Analphabetin und besuchte dann gemeinsam mit ihrem Mann die Abendschule, trotz ihrer Kinder, die sie ja neben der Arbeit als Köchin auch noch zu betreuen hatte. Ihr Mann schaffte es bis zur vierten Grundschulklasse. Sie hatte den Ehrgeiz und das Stehvermögen, sieben Schuljahre hinter sich zu bringen und erfolgreich quasi die Hauptschule abzuschliessen. Das eröffnete ihr eine vollkommen andere Welt.
Sie ist sehr gläubig und dankt noch heute Gott dafür, dass sie lesen und schreiben lernen durfte. Dadurch erhielt sie die gute Arbeit einer portera (Hausmeisterin) in einer Schule, die sie gern ausgeübt hat.
Josefina empfängt mich zu Hause in ihrem vollgestopften Zimmer mit ihren extrem wachen Augen, einem Gesicht voller Lachfalten und wunderschönen Grübchen und nicht zu vergessen mit rotlackierten Fingernägeln (sie liebt nämlich Nagellack). Sie bezeichnet sich selbst als intelligente und umtriebige Mamita Andina, was es auf den Punkt genau trifft.
Eine echte Schatztruhe ist ihr großes Zimmer. Die Regale hinter den Vorhängen sind von oben bis unten voll mit irgendeinem Krempel, und dennoch verliert Josefina nicht den Überblick. Sucht sie ein Detail, weiss sie exakt, wo genau sie ihre Suche ansetzen muss und wird dann auch zügig fündig. Ich bin hin und weg von ihrem Hausaltar, von den vielen Devotionalien auf ihm und den selbst gemachten Marienbildern aus getrockneten Blumen und Samenkörnern. Sie schläft übrigens gemeinsam mit einer ihrer Töchter und zwei Enkelkindern in einem gemeinsamen Schlafzimmer, was einfachst ausgestattet ist.
Bei all ihren Tätigkeiten ist ihr am allerwichtigsten die medizinische Pflanzenheilkunde. Sie ist nämlich auch eine sanadora espiritual, eine spirituelle Pflanzenheilerin. Da ist sie hier in der Quebrada de Humahuaca goldrichtig, da die Schlucht voll von Heilpflanzen- und Kräutern rechts und links der steinigen Wege ist.
Viele Menschen kommen Josefina aus unterschiedlichen Ländern besuchen, selbst aus Europa, und lassen sich von ihr behandeln. Sie bereitet Teeinfusionen zu oder sagt ihren Patienten, welche Kräuter und Pflanzen gut gegen ihre Beschwerden sind.
Als ich bei ihr eintreffe, behandelt sie gerade eine Frau mit geweihtem Wasser, das sie ihr auf den Kopf träufelt und linienförmig mit ihren Fingern verteilt. Danach werden die Beine der Patientin eingerieben mit einer grünen Salbe, die u.a. Petersilie enthält.
Während Josefina sich Zeit für mich nimmt, kommen drei weitere Leute herein, die sie nur kurz begrüßen wollen und ein Erinnerungsfoto mit ihr machen möchten. Später , zum Ende meines Interviews mit ihr, warten schon zwei Familien auf eine Behandlung. Meist geht es um chronische Schmerzen oder allgemeine Zipperlein. Auch extrem unruhige kleine Kinder behandelt sie mit verschiedenen Wässerchen und selbst angerührten Tropfen. Einige kommen drei- bis viermal pro Woche zu ihr. Ein Honorar verlangt Josefina für ihre Dienste nicht. Die Leute geben ihr einfach, was sie geben können.
Sie erzählt mir, dass sie als Kind so arm gewesen sei, dass sie nicht ein einziges Spielzeug besessen habe. Heute, im Alter, da würde sie viele Geschenke erhalten und das mache sie sehr froh und dankbar.
Ich weiss, dass sie Schmuck über alles liebt und habe ihr ein Paar Ohrringe mitgebracht. Diese werden sofort getragen und dabei leuchten ihre Augen wie bei einem Kind.
Auf ihren Garten hinter dem Haus ist sie besonders stolz. Hier züchtet sie viele ihrer Heilpflanzen und trocknet sie nach der Ernte. Auch gibt sie Kräuter- und Heilpflanzenseminare, da sie ihr Wissen so gern noch weitergeben möchte, bevor sie doch irgendwann mal abtreten muss, wie sie sich ausdrückt. Herkömmliche Medizin oder Pillen brauchte sie ihr ganzes Leben noch nicht. Hat sie mal ein Wehwehchen, behandelt sie sich selbst mit ihren Kräutertees und arbeitet einfach weiter. Die Arbeit ist ihr Lebenselexier, davon ist sie überzeugt.
Abuela (Großmutter) Rosa und ihr super-Müsli
Abuela Rosa ist 78 Jahre alt und hat eine faszinierende Ausstrahlung. Sie ist kerngesund, lustig, und vor allem glücklich und zufrieden….vielleicht ist das ihr Geheimrezept so fit zu sein in diesem Alter? Ihre immense Energie überträgt sich sofort auf mich. Ich bin mit ihr an einem Sonntagmorgen verabredet in ihrem kleinen Geschäft „Lo de la Abuela Rosa“ (frei übersetzt: alles von Großmutter Rosa) in Tilcara. Meine eigene Energie ist quasi gleich Null, da ich einen etwas schweren Kopf habe von wohl einem Glas Wein zu viel am Vorabend. Kaum aber befinde ich mich in ihrer Nähe, fühle ich mich sofort besser.
Es fällt mir zwar anfangs schwer, ihrem immensen Redefluss zu folgen, aber wir haben sofort ein gemeinsames Thema, und meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen. Verabredet waren wir um 10.30 h, da sie am Vormittag ihr beliebtes Müsli herstellen wollte – das beste weit und breit. Nun, da hier in der Quebrada Pünktlichkeit nicht gerade groß geschrieben wird, trudele ich so gegen 11.15 h ein. Weit gefehlt, die Abuela ist anscheinend noch vom alten Schlag, nämlich durchaus pünktlich. Unglaublich, aber sie hat ihr Müsli schon aus dem Ofen geholt und alle Zutaten wundervoll dekoriert für unsere Fotosession.
Erstaunlich, was die quirlige Rosa, die immer für einen Scherz zu haben ist, noch alles wuppt in ihrem Alter. In ihrem reizenden Geschäft, was zu einem echten Treffpunkt für Gleichgesinnte im Dorf geworden ist, gibt es nur gesunde und leckere Sachen zu kaufen wie allerlei verschiedene Samen und Körner wie Sesam, Mohn, getrocknetes Obst, Honig, Zutaten für glutenfreie Zubereitung von Speisen, diverse Nusssorten, Popcorn aus Quinua, super leckeren hausgemachten budin (Kastenkuchen) mit wenig Zucker und dafür mit mehr Orange oder Mango oder auch gern vegan. Nicht zu vergessen ihr wirklich tolles Vollkornbrot, ein echtes Highlight für eine gringa, wie mich. Spitzenreiter ist für mich persönlich jedoch immer wieder ihr selbst gemachtes super-Müsli. Ein Löffel davon, sagt sie, ist nährstoffreicher als ein kg Fleisch.
Sie bereitet es aus einer Basis von grobem Hafer, Weizenkleie und gemahlenem Quinua zu. Letztere Zutat kauft sie extra in Bolivien ein, wo es spezielle Mühlen für Quinua gibt. Alles wird im Ofen geröstet, dann mischt sie getrocknete Früchte unter, diverse Nußarten, Mandeln, Rosinen und gibt dem noch heissen Mix Honig zu, wodurch das Ergebnis so göttlich crunchy wird. 100 gr von diesem Power-food kosten bei ihr 50 pesos (Euro 3,– Stand: 2017) Kaum hat sie das Müsli fertig, ist es auch schon wieder ausverkauft…eine Kundin kann gerade noch eine letzte kleine Menge ergattern. Dieser erklärt sie in ihrer freundlichen und zugewandten Art, dass sie diesmal keine Sonnenblumenkerne hatte und deshalb schwarzen Sesam untergemischt hat. Die Kundin solle sich also nicht wundern, fährt sie augenzwinkernd fort, diese schwarzen kleinen Flecken seien keine bichitos, (kleinste Insekten), sondern eben nur gesunder Sesam.
Ganz nebenbei hat sie auch noch einen eigenen Radiosender: La Caprichosa, wo sie einmal pro Woche über Aromen und Geschmack der heimischen Früchte der Quebrada spricht wie: Aprikosen, Äpfel, Bohnen, Mais, Basilikum, die leckeren papas de andinas (Andenkartoffeln), über alte Kornsorten wie Quinua, über die Herstellung und überlieferte Rezepte als auch über die heimische Folkloremusik. Sie bezeichnet sich, was die Themenauswahl für ihre Sendungen angeht, durchaus als diskriminierend, da sie generell drei Themen nicht anfasst: Religion, Fussball und Politik.
Ansonsten macht sie gern und laut ihren Mund auf, wenn ihr etwas nicht passt im täglichen Leben und nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie wird von jedermann in Tilcara und vor allem auch in dem Indio-Dorf Iruya, 90 km entfernt von Tilcara, wo sie fast 6 Jahre lang gewohnt hat, über alle Maßen respektiert und von allen liebevoll abuela genannt.
Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete Rosa als Grundschullehrerin. Da die Rente aber nicht reichte und sie zudem noch eine Beschäftigung suchte, kam sie auf die Idee, sich auf gesunde Ernährung zu spezialisieren, vor allem, da sie fast Vegetarierin ist (einzige Ausnahme: wenn sie zu einem asado de cabra, einem Ziegen-barbecue, eingeladen wird, kann sie einfach nicht widerstehen).
So hat sie vor Jahren, als sie noch in Iruya wohnte, ihren ersten eigenen Laden aufgemacht mit dem Schwerpunkt: was zu einer natürlichen und gesunden Ernährung gehört. Ihre weiblichen Kunden spricht sie bevorzugt mit den in Argentinien beliebten Kosenamen für Frauen an, wie: madre, mamita, amiga, mi vida, hermana (Mutter, Mütterchen, Freundin, mein Leben, Schwester). Immer hat sie ein liebes persönliches Wort, natürlich auch für die männlichen Kunden, die durchaus zahlreich bei ihr vorbeischauen und ihr super-food gern kaufen.
Geboren wurde sie in La Quiaca, der Grenzstadt zu Bolivien und hat sowohl in Buenos Aires, in Salta, Santa Fe und in verschiedenen Dörfern Argentiniens gelebt. Zwei Kinder hat sie allein großgezogen. Vom Vater ihrer Kinder hat diese extrem positive und starke Frau sich schnell getrennt.
Mittlerweile fühlt Rosa sich sehr als Tilcareña (Einwohnerin von Tilcara). Früher hat sie auch Theater gespielt und ist als Schauspielerin in einigen regionalen Dokumentationen zu sehen. Ja, Rosa führt ein wirklich bewegtes Leben.
Ich verbringe einen fantastischen Sonntag morgen in ihrem Geschäft. Eine andere Kundin probiert verschiedenene Duftwässerchen, die die Abuela auch anbietet: reine Naturkosmetik, absolut ekologisch und mit natürlichen Essencen wie Eisenkraut, Fenchel, Magnolia oder auch Basilikum, einfach großartig! Es kommt noch eine chica (umgangssprachlich für Mädchen, Frau) dazu und schon sind wir mitten im Duftrausch der stimulierenden Wässerchen. Es ist richtig was los hier an dem ansonsten im Dorf ruhigen Sonntagvormittag.
Ein junges Pärchen aus Frankreich schaut sich um und kauft eine große Menge an getrockneten Äpfeln und probiert auch das Super-Müsli, dann 5 junge Mädels und ein männlicher Begleiter mit großen Rucksäcken auf den Schultern, die sich bei Abuela mit einem frisch gepressten Orangensaft stärken, bevor sie loswandern auf große Tour zu den majestätischen Hausbergen rund um Tilcara. Natürlich nehmen die Wanderer auch Rosa‘s Trockenobst und ihre Tropic-Nussmischung mit. Eine weitere Kundin holt ihren gestern bestellten Mango-Kastenkuchen ab, und ich nehme natürlich auch ein Duftwässerchen mit, welches gegen Stress und antidepressiv wirken soll, dazu mir noch helfen soll, Entscheidungen leichter zu treffen…also bitte…was kann denn da heut noch schiefgehen? Und überhaupt: in der Gesellschaft von Abuela Rosa kann, glaub ich, keiner depressiv werden…für’s leibliche Wohl nehm ich noch einen budin de naranja mit, einen Kastenkuchen mit Orange, den letzten, den sie zum Verkauf hat…heut abend, nach der Messe, sagt sie, backt sie neue…
Ich freu mich für sie, dass sie heut soviel zu tun hat mit guten Einnahmen, denn eigentlich wollte sie den Laden gar nicht aufmachen, sondern nur ihr müsli zubereiten, aber dann hatte ich mich für die Fotos angemeldet und da sollte natürlich alles schön aussehen und so hatte sie extra aufgeräumt und ihr abierto-Schild (Öffnungsschild) an die Tür gehängt….
Estella steht ihren Mann als Metzgerin in Humahuaca
Beeindruckend diese junge Frau auf dem Markt in Humahuaca. An ihrem Fleischstand ist mit Abstand das meiste los. Der Fleischer zu ihrer Linken schaut schon ganz neidisch herüber. Estella lässt sich davon nicht beirren. Sie sägt, sie klopft, sie wiegt, sie verpackt und kassiert… und das alles in einer makellosen Metzgeruniform, mit dunkelblauen Plastikstoff-Stulpen über ihre Unterarme gezogen, eleganten Perlohrringen in den Ohren und mit einem geschäftstüchtigen Lachen im Gesicht. Sie ist flink und sehr fleissig, diese gestandene Frau von nur 30 Jahren.
Hier an ihrem Marktstand verkauft sie ausschließlich Llamafleisch und Lamm und den in der Quebrada nicht wegzudenkenden Ziegenfrischkäse. Aber das ist noch nicht alles. Sie hat nämlich am Rande des Marktes noch eine richtige Metzgerei, in der sie u.a. auch Rindfleisch und Huhn verkauft.
Seit acht Jahren ist sie schon im Fleischergeschäft und das mit großem Erfolg. Ihre zwei Töchter müssen nach der Schule ordentlich mit anpacken. Einen Mann gibt’s nämlich weder in der Familie, noch im Geschäft. Wozu solle sie sich mit einem Mann abgeben, fragt sie mich. Der würde sie ja nur vom business abhalten und auf seine Arbeitskraft könne man sich doch eh nicht verlassen, raunt sie mir etwas zynisch zu. Nein, sie bevorzugt ihre eigene Chefin zu sein. Ja, in der Tat, sie ist eine echte Chefin, die genau weiss, was sie will und was nicht. Ihre zwei jungen Angestellten flitzen zwischen ihrer Metzgerei und dem Marktstand hin und her. Als Chefin scheint ihr nicht das kleinste Detail zu entgehen. Die kleinere Tochter hockt neben ihr hinter dem Verkaufsstand und schaut dem Treiben zu. Jetzt setzt Estella grad souverän wieder die Säge an, um ein riesiges Stück Llamafleisch mit Knochen zu zerteilen. Dann wird die größere Hälfte auf die Waage geschmissen, in eine Plastiktüte geworfen und dem Kunden überreicht. Geld wechselt seinen Besitzer, und schon geht’s weiter mit dem nächsten Kundenwunsch. Ich staune nur. Wer hat Estella das wohl alles beigebracht?
In einer ruhigen Minute erfahre ich es von ihr. Der Fleischhandel ist Estella sozusagen in die Wiege gelegt worden. Ihr Vater war Schlachter und Metzger. Sie war die einzige von acht Kindern, die in seine Fußstapfen treten wollte. Zu Haus, auf dem Land, hatten sie Schafe und Llamas, erzählt sie mir. Der Vater hat sie geschlachtet und das Fleisch in den Dörfern der Puna verkauft, als fahrender Händler. Ähnlich hat auch Estella angefangen und ihre Waren per Moped in Humahuaca feilgeboten. Sie wollte jedoch schon immer ihre eigene Metzgerei haben und dieses Ziel hat sie auch schnell erreicht.
Mit ihrem nagelneuen großen Mercedes-Lieferwagen, auf den sie äußerst stolz ist, fährt sie jeden Freitagnachmittag in die Puna-Stadt Abra Pampa, ca. 100 km entfernt von Humahuaca, um dort beim Großhandel Fleisch für ihre Metzgerei einzukaufen, vor allem das Llama- und das Lammfleisch.
Ihr Tag ist gut durchorganisiert. Die lange Mittagszeit auf dem Markt nutzt sie, um ihren Kindern essen zu kochen, dann geht es am Nachmittag wieder zurück in die Metzgerei, die Kinder meist im Schlepptau, wo sie dann auch die Schulaufgaben der beiden beaufsichtigt. Lebensmittelpunkt der drei Damen ist also sozusagen die Metzgerei. Abend für Abend wird diese von der älteren Tochter geputzt, während die kleine dabei hilft, die nicht verkauften Waren in die Kühlung zurückzulegen. Ein wirklich eingespieltes Team, die Drei, und man sieht, dass sie bei allem auch noch Spass zusammen haben. Vielleicht hat Estella ja Recht? Ein Mann im Bunde wäre nicht wirklich eine echte Bereicherung in ihrem Geschäftsleben.
Auf dem Weg zu Maria und ihren Alfajores
Das Backen von Alfajores und Empanaditas (süss gefüllte Teigtaschen) hat Maria schon früh gelernt, als sie als junge Frau in einem kleinen Hotelbetrieb arbeitete. Nach zwei Jahren meinte sie dann, genug gelernt zu haben und traf die mutige Entscheidung, auf eigene Rechnung zu backen und die Produkte auf der Straße zu verkaufen. Sie hat ihre sechs Kinder hauptsächlich von diesem Tagewerk allein großgezogen. Von ihrem Mann, der dem Alkohol verfallen war und sehr aggressiv sein konnte, wie sie mir erzählt, trennte sie sich schnell und brachte ihre Familie lieber alleine durch.
Ich besuche die resolute und umtriebige 57jährige in ihrem bescheidenen Häuschen in grandioser Landschaft. Gar nicht einfach zu finden, ihr Domizil. Dazu muss ich ein ausgetrocknetes Flussbett außerhalb von Tilcara mit dem Auto durchqueren. Der schlecht passierbare Weg geht weiter bergauf über Stein und Stock, an riesigen Kandelaberkakteen vorbei, links und rechts eine beeindruckte Berglandschaft in den unterschiedlichsten Farbtönen. Dann passiere ich einen kleinen Weinberg, und da liegt ihr Häuschen ganz versteckt und gut geschützt am Fuße eines Bergmassivs.
Die üblichen Hunde kommen mir kläffend entgegen, und ich werde von Maria mit ihrem breiten Lächeln, welches einen fast zahnlosen Mund freigibt, auf herzlichste begrüßt. Welch ein Ort, an dem sie mit ihrem neuen Lebensgefährten, Santos, wohnt! Eine unglaublich tiefe Stille empfängt mich hier, abgesehen vom vielfältigen Vögelgezwitschere. In der hier ansonsten eher karg daherkommenden steinigen und grandiosen Berglandschaft mit ihren imposanten Kakteenarten ist es bei Maria überall grün. Sie hat ein großes Stück Wiese vor der Haustür, an das sich ein Kornfeld anschliesst, rechts schaut sie auf die herrlichen Weinreben, links erblicke ich dicke rote Äpfel in einigen Bäumen, einfach magisch!
Den Teig für die Empanaditas hat die fleissige Maria schon am Morgen vorbereitet sowie die melonenartigen Cayote-Früchte zu Mus verarbeitet für die Füllung des Gebäcks. Nun wird der Teig in ihrer einfachsten Küche auf einem Metalltisch, den sie sich extra angeschafft hat, ausgerollt und ausgestochen.
Es ist gar nicht so einfach für mich, Marias unglaublichem und nicht endenden Redebedürfnis zu folgen. Ich gebe zu, ich verstehe, wenn es hoch kommt, nur jedes dritte Wort. Draussen dann, auf der Terrasse, unter dem Wellblechdach, werden die ausgestochenen Kreise mit dem Cayotemus belegt und zu den Empanaditas gefaltet. Maria versucht unermüdlich, die vielen Fliegen, die es hier im Sommer nun mal halt gibt, von dem Fruchtpürree und von den gefüllten Teigtaschen wegzujagen.
Unterdessen erfahre ich ein wenig mehr über ihre Arbeit. Das Vorbereiten der süßen Backwaren, das Aufheizen des Lehmofens mit Holz, in dem sie gebacken werden, das Füllen der Alfajores mit dulce de leche (eine Art Karamelmasse) und das Auftragen der Zuckerglasur auf das fertige Gebäck dauert den ganzen Tag. Früher, als sie noch für ihre Kinder Geld verdienen musste, und ohne Mann lebte, hat sie drei- ode viermal in der Woche gebacken und war meist immer erst fertig mitten in der Nacht, da sie auch das Holz für den Lehmofen sammeln musste, wenn die Kinder ihr nicht helfen konnten und den großen Ofen auch selbst anfeuern musste. Heute hat sie wenigstens Hilfe in Santos, dem neuen Mann in ihrem Leben, der wohl ein ganz ruhiger Vertreter seiner Spezies ist. Ein guter Mann sagt sie, der keinen Alkohol trinkt. Sie hat ihn Karneval vor einem Jahr kennengelernt und seit Oktober wohnen sie zusammen in dem Häuschen, was nur aus der Küche und einem kleinen Schlafzimmer, in das gerade mal zwei einzelne Betten passt, besteht.
Sie backt Alfajores und Empanaditas jeweils von einem kg Mehl. Aktuell gibt sie nur je ein Ei in den Teig, da Eier so teuer geworden sind. Ein Tag wird gebacken, den nächsten Tag zieht sie los mit ihrem Korb, in dem sich dann 150-200 Gebäckteile befinden, ihre Handtasche keck umgehängt, die ihr als Kasse dient. Zu Fuß, ungefähr fünf km bis nach Tilcara mit diesem schweren Gebäckbehältnis, wo sie dann Teil um Teil für 5 Peso (30 Cent, Stand: 2017) verkauft, den ganzen Tag lang! Sie weiss, wo ihre Stammkundschaft zu finden ist, die, wenn sie Glück hat, auch mal 12 Stücke auf einmal kauft.
Ich habe sie in Tilcara begleitet, wie sie auf der Straße operiert, auf dem Markt ihre Kunden anspricht, oder Verkäufer in einigen Geschäften, die zu ihrer Kundschaft zählen. Die meisten kaufen 3 Stück für 15 Pesos. Einige lehnen natürlich auch ab und vertrösten sie aufs nächste Mal.
Maria weiss genau, welche Kunden ausschliesslich Emapanaditos oder nur Alfajores bevorzugen. Auch geht sie von Haus zu Haus im Dorf und klingelt oder klopft an die Türen, immer mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht, immer freundlich oder ihr treue Kundschaft umarmend, mit einem lieben Wort auf den Lippen oder bereit für einen kleinen Plausch. Sie ist ein echtes Verkaufstalent.
Gern wäre sie Anwältin geworden, wenn sie eine Chance gehabt hätte, verrät sie mir beim Verkaufsbummel durchs Dorf. Da dieses aber anscheinend nicht für sie vorgesehen war, folgt sie seit Jahren jenem Tageswerk, mit dem sie an einem Tag bis zu umgerechnet 40 – 60 Euro verdienen kann, wenn sie dann alle Gebäckstücke an den Mann bringt. Einzurechnen zu ihrem Verdienst ist natürlich auch der Arbeitstag, den sie mit dem Backen verbringt.
Heutzutage, da sie nur noch für sich selbst sorgen muss, da ihre Kinder schon lange aus dem Haus sind, backt sie meist nur einmal pro Woche oder spontan, wenn sie Geld benötigt, um sich vielleicht etwas extra der Reihe für sich selbst zu gönnen.
In ihrem kleinen Paradies baut sie auch Gemüse und Korn an, das sie auf dem Markt in Tilcara verkauft. Damit hat sie rund ums Jahr ein Auskommen, wovon sie bescheiden leben kann. Es reicht sogar, sich ab und zu mal ein kleines Parfum zu leisten, wie sie mir stolz erzählt mit ihren wunderbar strahlenden Augen.
Mittlerweile sind alle Empanaditas gefaltet, und sie bereitet den Teig für die Alfajores zu, der etwas delikater ist und schnell behandelt werden muss. Ihre routinierten Hände kneten und walken, ein Plastikdeckel dient ihr zum Ausstechen der Teigkreise. Santos hat sie bereits auf den Weg geschickt, Holz zu sammeln. Nach einer halben Stunde kommt er zurück und feuert den Lehmofen an. Es qualmt wie verrückt. Dann auch schon prasselt es im Ofen und er verströmt eine schöne Wärme an dem nun schon dämmrig werdenden kühlen Spätnachmittag. Die schweren Bleche werden belegt und nacheinander von Maria in den Ofen geschoben. Santos assistiert ihr, aber sie führt eindeutig die Regie. Die Alfajores haben ihren Platz nah am Feuer, müssen aber sehr im Auge behalten werden, da sie schneller fertig werden als die gefüllten Empanaditas.
Mit einem großen Holzstock arrangiert Maria die Bleche im Ofen, schiebt sie hin und her und passt auf, dass bloss nichts anbrennt. Nach kurzer Zeit ist der Teig der Alfajores schon hochgekommen und sie werden goldbraun. Nun ist Eile angesagt, während gleichzeitig auch aufgepasst werden muss, dass weiterhin genug Hitze im Ofen verbleibt, Holzscheite müssen also nachgelegt werden. Ruck Zuck zieht Maria die schweren Bleche heraus, die Gebäckteile werden umgedreht und wieder hineingeschoben. Sie gibt einige knappe Befehle an Santos, der diese mit seinen mit Cocablättern gefüllten Wangen ausführt, ohne einen Mucks von sich zu geben. Sie ist eben die Chefin und weiss genau, was sie tut.
Fertig sind die Alfajores, die Empanaditas brauchen noch einige Minuten länger. Santos schneidet in seinen großen Händen die etwas abgekühlten Alfajores in der Mitte einmal durch, während Maria noch mit den restlichen Blechen Empanaditas am Ofen beschäftigt ist. Als die dann auch fertig sind, rührt sie die dulce de leche Füllung an und bestreicht jeweils eine Hälfte der Alfajores und klappt sie dann wie ein Brötchen zusammen.
Zum Schluss, mittlerweile ist es stockdunkgel geworden, fertigt sie die Zuckerglasur und alle Gebäckstücke werden kurz darin getaucht. Ich kann gar nicht bis zum Ende abwarten und koste von den Backwaren bereits ohne Zuckerglasur, da ich doch so neugierig bin, wie sie denn nun schmecken. Speziell die Alfajores haben mir es angetan. Da sie so unglaublich lecker und noch lauwarm sind, kaufe ich ihr direkt ein Dutzend ab. Die Hälfte davon haben den kurzen Rückweg bis Tilcara erst gar nicht geschafft! Maria warnt mich eindeutig, die von ihr mir erstandenen Empanaditas mit der Cayotemus-Füllung erst richtig abkühlen zu lassen, bevor ich sie mir einverleibe, da sie sonst für ordentlich Ungemach in meinem Bauch sorgen würden.