Reportage
Che, Patron! …Gauchos in Argentina – Part I
Der Viehhirte in Argentinien, nostalgisch, mythenumwoben als auch voller Respekt Gaucho genannt, ist zumeist ein solitäres Individuum, das die Freiheit, die Weite in der Landschaft sowie die Einsamkeit im Leben braucht wie die Luft zum Atmen.
Er ist kein Freund von großen Worten und bevorzugt vielmehr die Gesellschaft der Tiere, mit denen er lebt, allem voran sein ihm stets treuer, auf Schritt und Tritt begleitender Hund. Sein Leben kann als raues und genügsames Dasein auf dem Land, der Estancia, seines Patrons bezeichnet werden. In früherer Zeit führte der Gaucho ein Nomadenleben und zog mit seinem Pferd von einem Landgut zum anderen. Er schlief zumeist auf einer Matte draussen auf der Erde, so wie es heute noch die umherziehenden Schafscherer während der Schursaison halten.
Durchaus auch in unserer Zeit noch ab und an vorkommend, dass er nicht des Lesens oder Schreibens mächtig ist, hütet der Gaucho zuverlässig das Vieh des Patrons, versorgt und pflegt es. Sind Pferde auf der Estancia vorhanden, ist er für die Zureitung und Ausbildung dieser verantwortlich. Er wohnt meist in einer sehr bescheiden ausgestatteten Hütte, die ihm vom Patron zugewiesen wird und von wo er die Estancia gut überblicken kann.
Für Ackerbau ist er nicht gemacht. Seine Domäne ist die physische Stärke und Geschicklichkeit, die er beispielsweise auch einsetzt, um Zäune auf dem von ihm betreuten Land auszubessern, aber in erster Linie, um mit den ihn anvertrauten Tieren zu arbeiten.
„Am Morgen kaum erwacht, ist sein erster Gedanke, nach seinem Pferde zu sehen, zu satteln, sich auf dessen Rücken zu schwingen, dann das Vieh zusammenzutreiben, so werden ungeheure Strecken im gestreckten Galopp zurückgelegt.“ (Zitat aus unbekannter Quelle).
Das Wort gaucho, aus der Ketchua-Sprache abstammend, bedeutet so viel wie Waise. Ein Wort, welches u.a. auch für junge Tiere verwendet wird, die von ihrer Mutter verlassen wurden.
Genau so erging es dem Gaucho Juan, der im Alter von 15 Jahren von seiner Familie auf einer Estancia in Chile zurückgelassen wurde und seitdem allein auf verschiedenen Landgütern lebt. Irgendwann kam er nach Argentinien und hat auch als Arbeiter viele Jahre lang in einer Schaf-Fellfabrik nachts gearbeitet, bevor es ihn dann doch letztendlich wieder in die Einsamkeit einer Estancia in Patagonien zog. Schreiben und Lesen hat er nicht gelernt, da er nie eine Schule besuchte. Er interessiert sich aber dennoch für das Geschehen in der Welt und ist stolz, in seinem primitiv ausgestatteten Häuschen eine Satellitenschüssel zu haben, mit der er einige Programme auf dem TV empfangen kann. Dieses ist tagsüber fürsorglich mit einem Handtuch abgedeckt, um es vor dem Staub der patagonischen Steppe, in der Juan lebt, zu schützen.
Viele Besitztümer hat Juan im Laufe seines Lebens nicht angesammelt außer einigen Klamotten und einen Generator – ein wichtiger Schatz für ihn, da dieser gewährleistet, ständig über Strom in seiner Abgeschiedenheit zu verfügen.
Ob er glücklich und zufrieden ist mit seinem Leben, will ich von ihm wissen. Aber ja, antwortet er. Es sei nie wichtig für ihn gewesen, z.B. ein Auto oder andere Konsumgüter zu besitzen. Was denn für ihn wichtig sei, frage ich nach. Ein Leben in der Natur, ist die gleichsam kurze und aussagekräftige Antwort. Er liebt das Alleinsein in ihr, fügt er noch ganz gesprächig hinzu.
Morgens um 5.00 h beginnt sein Tag auf der Peninsula Valdes am Südatlantik in Patagonien; die Tiere wollen früh gefüttert werden. Zur Hand hat er meist ein Transitorradio, auch im Stall, welches bei schlechtem Empfang vor sich hindudelt.
Gegen 7.00 h sattelt er sein Pferd, um Patrouille an den Zäunen der Estancia zu reiten oder um nach den freilaufenden Schafen und Rindern auf der Estancia zu schauen, sein Hund, Zyklon, ein junger, und noch wilder Border-Collie, immer an seiner Seite.
Die Gesundheit und dass er die Arbeit, die er verrichtet, gut macht, bedeutet ihm viel, läßt er mich wissen.
Der Patron zahlt ihm nicht viel im Monat, spricht er weiter, aber man versorgt ihn mit den nötigsten Lebensmittel, das reicht ihm völlig aus.
Als ich ihn das erste Mal am Gatter der Estancia treffe und mich mit ihm auf einen Mate verabrede, frage ich ihn spontan, ob er etwas aus der Stadt haben möchte und erwartete irgendwie voller Vorurteil, ich gebe zu, dass es ihn nach Zigaretten oder eine Form von Alkohol gelüstet…Obst und Limonade hingegen waren seine bescheidenen Wünsche! Weder raucht er, noch konsumiert er Alkohol. Stattdessen geniesst er das morgend- und abendliche Ritual des Mate Trinkens.
Oscar, der nicht so vertrauensvoll wie Juan auf mich wirkt, dafür aber um so redseliger, nennt sich gern Peon (was hier in Argentien soviel wie Gutsaufseher bedeutet); eine Stufe unter dem Patron angesiedelt, wie er meint, mir erklären zu müssen. Er legt auch Wert darauf, dass er der richtige Ansprechpartner für mich als Besucherin der Estancia sei, nicht etwa sein Patron. Die Rangfolge sei schliesslich einzuhalten, informiert er mich vorsichthalber, damit auch bloss kein Missverständnis bei mir aufkommt!
Vielleicht ist ihm diese Hierachie deshalb so wichtig und geläufig, da er im Leben auch schon als Gefängnisaufseher in Patagonien gearbeitet hat.
Die Schafschur war gerade beendet auf ’seiner‘ Estancia Salinas Chicas. Auch waren die circa 1.000 Schafe schon markiert worden. In Kürze steht ein Bad der Schafe an, erzählt er mir. Einige der Tiere sind anscheinend mit einer Art von Krankheit infiziert. Da ist Handlung schnellstens angesagt, bevor sich diese bei den freilaufenden Tieren weiter ausbreitet und sich vielleicht sogar noch auf Nachbarhöfe übertragen könnte, obwohl diese ja meist meilenweit auseinanderliegen.
Irgendwie war ich froh, dass Oscar gerade an dem Tag, als ich ihn besuchte, nicht ganz allein auf der sehr abgelegenen Estancia war, die sich auf der Peninsula Valdés befindet. Es waren zufällig zwei Nachbarn dort. Man darf ja bei allem nicht vergessen, dass diese Gauchos nicht so häufig weiblichen Besuch in ihrer Abgeschiedenheit empfangen, und schon gar nicht von einer Gringa, wie ich es bin. Seine zu sehr forschen Blicke, die er mir des öfteren zuwarf, veranlassten mich dann doch lieber, eher als geplant den langen Weg zurück anzutreten, ohne seiner Einladung zum obligatorischen Mate-Ritual zu folgen, um noch ein wenig mehr in Ruhe zu plaudern.
Ganz anders empfangen wurde ich bei einer Schafschur auf der Estancia Bajo los Huesos (unter den Knochen) ca. 80 km vom südatlantischen Hafenort Puerto Madryn entfernt, mitten im Nichts in der patagonischen Steppe.
Sie kann einem verdammt endlos erscheinen, diese Steppe, was sie ja auch tatsächlich ist. Sehr surreal und – ich gebe zu – auch etwas angsteinflössend, vor allem wenn man sich auf den schilderlosen Schotterpisten, die alle gleich aussehen, verfährt, so wie es mir passiert ist.
Daß man dann in dieser Wildnis schnell jemanden trifft, den man nach dem richtigen Wege fragen könnte, darauf sollte man sich besser nicht verlassen. Und selbst sollte zufällig grad ein anderes Auto vorbei kommen, dessen Staubwolke meist schon über Kilometer auf den schnurgeraden Wegen in dieser monoten Landschaft zu sehen ist, heisst das noch lange nicht, dass der andere, außer seinem eigenen Ziel in der Steppe, auch noch ein weiteres kennt. Dafür ist der Landstrich einfach zu riesigt. Ebenso wäre es fatal, in solch einer Situation auch nur auf einen einzigen Balken der Anzeige des Telefonnetzes auf dem Display eines Mobiltelefons zu hoffen…
Ich hatte zwar eine relativ genaue Wegbeschreibung erhalten, nach wieviel gefahrenen Kilometern ich links von einer Haupt-Schotterpiste abbiegen sollte, nach wieviel weiteren Kilometern ich dann einige Wellblechschuppen und ein Windrad in der Landschaft erblicken sollte und danach, nach ca. 400 Metern, zu meiner Linken, ein großes Gatter zu öffnen hätte. Von dort aus seien es nur noch vage 5 Kilometer über Sandwege bis zu den galpones, den Schuppen, wo die Schafschur stattfände…nun ja, es war eben auch in der Tat nur eine relativ genaue Beschreibung und überhaupt: so viele Gatter entlang der Wege, die alle gleich aussehen, und wie sollte ich nur sicher sein, dass ich die richtigen Windräder und Schuppen vorher ausgemacht hatte? Denn nicht nur die Landschaft sieht hier immerzu gleich aus, sondern auch irgendwie die Häuserbaracken oder Schuppen, die immer mal wieder rechts oder links am Horizont auftauchen.
Letztendlich mit etwas Geduld, einigen Irrversuchen, was die Gatter und die nachfolgenden Sandwege anging, und Gott sei Dank mit noch halbvollem Tank für die spätere Rückfahr, wurde ich dann doch fündig und auch belohnt.
Ein sehr netter, vertrauenserweckender und dazu noch ausgesprochen gut aussehender, – diesmal echter – Gutsaufseher und -verwalter, Gerardo, begrüßte mich. Später, zur Mittagszeit, wurde ich auch noch lecker bekocht, vom Sohn des Estancia Besitzers, Mateo, ein echter Sonnenschein, der bei der Schafschur mithalf und sogar zeitweise auf dem weiten Landgut in einem einfachen, in die Jahre gekommenen Häuschen wohnt. Es gab Guiso, Linsen-Reis- und Kartoffeleintopf, eben etwas richtig Deftiges für die arbeitenden Männer.
Gerardo, der attraktive Verwalter, betreut gleich vier campos, wie man die Landhöfe oder Estancias hier auch nennt. Zwei große Güter in der Nähe der patagonischen Küste und zwei gelegen an der Anden-Kordillere. Damit reisst er viele Kilometer bei diesen immensen Entfernungen mit seinem pick-up ab, um den gauchos regelmässige Besuche abzustatten und um nach dem Rechten zu schauen.
Auf Bajo los Huesos gab es nun ca. 5.000 Schafe zu scheren. Damit waren die Schafscherer schon einige Tage lang beschäftigt – übrigens ein sehr eigenes Volk, diese Art von Gauchos. Sie ziehen meist als feste Arbeitstruppe in einem uralten Bus von einer Estancia zu nächsten, schlagen überall ihre Feldbetten auf, direkt in den galpones oder auch unter dem meist kalten und windigen Sternenzelt und arbeiten von früh morgens bis spät nachmittags. Danach gibt’s den obligatorisch wärmenden Mate und die letzte der vier festen Tagesmahlzeiten, die eigentlich immer aus Lammfleisch und Kartoffeln mit Brot bestehen, und das auch schon zum Frühstück! Dann legt man sich zum Schlafen und am nächsten Tag fängt alles wieder von vorne an.
Eine harte, monotone und schweisstreibende Arbeit, die sie hauptsächlich im Bücken verrichten, so haben sie auch alle gesundheitliche Probleme mit ihren Rücken. Es sind Saisonarbeiter. Vielfach leben sie sechs Monate getrennt von ihren Familien, wenn sie denn welche haben, um dieser Arbeit nachzugehen. Umgerechnet verdienen sie pro Schaf, das sie durchschnittlich in zwei bis drei Minuten scheren, circa 50 Cent. Die restlichen Monate außerhalb der Schursaison verdienen sie häufig kein Geld oder leisten irgendwelche Hilfsarbeiten, um mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen.
Gerardo erzählt mir, wenn man das Pech hat, dass man die erste Farm ist, auf der die Schafscherer zu Anfang der Saison ankommen, futtern diese gauchos einem quasi ‚erstmal die Haare vom Kopf’…sie sind so ausgehungert vom kargen Leben in den Monaten zuvor, in denen sie eben keine feste Arbeit hatten, dass sie zuerst einmal ordentlich in sich hineinstopfen, bevor sie endlich mit der Schafschur beginnen, die dann anfangs auch immer ein wenig hakelig und eher langsam vor sich geht, bevor die Männer wieder ihre Routine im Scheren haben. Dann scheren sie pro Kopf durchaus 150 – 200 Schafe am Tag.
Der Gaucho in Patagonien ist – so lasse ich mir erzählen – noch wortkarger als der aus der Andenregion oder der Gaucho aus der Pampa. Ebenso schmückt er sich nicht mit Poncho und Hut, wie zum Beispiel der Gaucho aus der Provinz Salta im Nordosten des Landes und trägt auch sein obligatorisches Messer nicht so sehr zur Schau. Er begnügt sich kleidungstechnisch mit der klassischen Hose, die man allgegenwärtig auf dem Land trägt, der sogenannten bombacha und als Kopfbedeckung dient die boina, die traditionelle Baskenmütze, die den patagonischen Gaucho einigermassen gegen den immer präsenten Wind in der Steppe schützt.
Vielleicht hat der anonyme Verfasser folgender Zeilen recht: „Man muss diese Gauchos sehen, um die ungezügelten und kühnen Charaktere zu verstehen, welche aus dem Kampfe des isolierten Menschen mit der wilden Natur hervorgehen; man muss ihre Gesichter gesehen haben, um ihr Selbstvertrauen und die Verachtung der Gefahren begreifen zu können.“ Da bleibt mir noch hinzuzufügen, dass man wohl ebenfalls eine Weile mit ihnen verbracht haben muss, um diese freiheitsliebenden Charaktäre zumindest ein wenig zu verstehen.